KI-Tools, insbesondere ChatGPT, ziehen seit Monaten ihre Runden. Das Versprechen: Texte schneller, günstiger und einfacher schreiben, ohne nennenswerte Vorkenntnisse. Kurzum: Wir Kunsthistoriker:innen sind in einer unserer Hauptkompetenzen bedroht, nämlich Texte verfassen. Die Medien laufen heiß zu den Chancen und Risiken ChatGPTs, dazu ob und wie visuell arbeitende KI die Kunstwelt verändern wird. Aber wo ist hier die Kunstgeschichte, wo sind unsere Stellungnahmen? Während wir uns noch die Schuhe anziehen, ist die KI schon einmal um die Welt gerannt … Und hat dazu einen ausführlichen Reisebericht samt Fotobuch kreiert.
Kurzer Disclaimer vorweg: In dem Format “Gedanken einer Kunsthistorikerin” findet ihr Kolumnen zu aktuellen Themen. Subjektiv und offen. Ich spreche aus meinem aktuellen Wissensstand heraus und für mich, als eine einzelne Kunsthistorikerin. Nehmt gerne an der Diskussion Teil, ich freue mich auf eure Erfahrungen und Meinungen. Natürlich gilt wie immer die Netiquette 🙂
Sind wir zu langsam?
Als ausgebildete Wissenschaftlerin möchte ich erst einmal genau analysieren, was Programme wie ChatGPT machen, wie sie funktionieren. Ich habe das Bedürfnis zunächst abzuwarten, Informationen zu sammeln, aus der Ferne zu beobachten und zu untersuchen, was da gerade vor sich geht.
Aber sind wir damit nicht zu langsam? Über ChatGPT wird schon lange geredet. Am 10. Januar 2023 veröffentlichte das Unternehmen OpenAI die Version von ChatGPT, die vieles auf den Kopf stellte. “Veränderst Du wirklich die Welt, ChatGPT?”, fragt der Kulturpodcast Lakonisch Elegant am 19.01.2023. “ChatGPT- ein Quantensprung der KI-Technik, der Vorbote einer neuen Welt?”, heißt es in der Zusammenfassung der Sendung NDR Kultur. Das Journal vom 06.02.2023. Aber aus geisteswissenschaftlicher Sicht sind Standpunkte und Stellungnahmen selten.
Universitäten bieten erste Kurse an, um mit ChatGPT zu arbeiten. Darunter beispielsweise die HHU mit ihrem “Prompt-a-thon” für die Geisteswissenschaften, an dem ich freundlicherweise als Externe teilnehmen durfte. Ich bin überzeugt, dass darüber hinaus unzählige Wissenschaftler:innen gerade daran arbeiten, ChatGPT und seine Auswirkungen zu untersuchen.
Aber fordert der aktuelle Diskurs nicht schnellere Ergebnisse, Einschätzungen und Positionierungen? Klar kommt dann diese kleine Stimme: Müssen wir denn zu jedem Trend Stellung nehmen? Ja, finde ich. Ja, wenn wir aus dem viel strapazierten Elfenbeinturm raus wollen, ja, wenn wir an aktuellen Diskursen teilnehmen wollen.
Kann KI unsere (wissenschaftliche) Arbeit ersetzen?
Auch wenn ChatGPT ein interessantes Tool für Aufgaben wie Zusammenfassungen oder erste Ideenfindung ist, kann echte wissenschaftliche Forschung davon kaum übernommen werden.
Ein kleiner Feldversuch: Wenn ich eine der zentralen Erkenntnisse meiner Masterarbeit in eine offene Frage umwandele, bekomme ich eine nette Zusammenfassung, die einige spannende Fragen anstößt. Aber einen richtigen Mehrwert liefert sie nicht. Konkret bedeutet das: Es kommen schöne, aber leere Worte raus, statt wissenschaftliche Erkenntnisse. Und allzu oft sagt mir ChatGPT bei Rückfragen: “Ich entschuldige mich für die vorherige Verwirrung. Es scheint, dass meine vorherige Antwort nicht korrekt war.” (Zitat aus unserem Chat vom 21.09.2023).
Ein Merkmal der Wissenschaft ist, dass sie ergebnisoffen ist. Aber kann eine künstliche Intelligenz wirklich ergebnisoffen agieren, wenn sie mit bestehenden Informationen gespeist ist? Natürlich dürfen Wissenschaftler:innen auch nicht x-beliebige Daten aus der Luft greifen, aber sie können und sollen Verknüpfungen herstellen, die bisher nicht zusammen gedacht wurden und so auf gänzlich neue Ergebnisse kommen. Meiner Erfahrung nach, ist das bei ChatGPT (bisher?) nicht der Fall.
Sind wir alle bald arbeitslos?
Kommen wir nun zu der Frage der Fragen. Machen KI-Tools wie ChatGPT uns bald alle arbeitslos?
Das klingt nach Technikpessimismus. Aber ehrlich gesagt, hatte auch ich schon diesen Gedanken. Ich blogge, verfasse wissenschaftliche Texte und schreibe in meiner Freizeit Belletristik. Natürlich bin ich da von so einem übermächtig erscheinenden Schreib-Tool eingeschüchtert. Denn es bedroht meine Arbeit, mein Hobby, meine Leidenschaft, meine Art mich mitzuteilen und nicht zuletzt meinen Weg, Geld zu verdienen.
Nicht nur, dass eine Maschine meine Arbeit in Zukunft für sehr viel weniger Zeit und Kosten übernehmen könnte, werden vielleicht bald alle Fragen in ChatGPT eingegeben, sodass niemand mehr Suchmaschinen nutzt und Blogartikel liest? Fest steht jedenfalls: Das sind keine bequemen Fragen …
(M-)Eine Prognose zu kunsthistorischer Arbeit mit ChatGPT
Wie realistisch ist so ein Szenario? Keine Ahnung. Das wird die Zukunft zeigen. Bis dahin denke ich, dass wir uns mehr auf die Chancen besinnen sollten, als schwarzzumalen. Also, welche Prognosen kann ich nach aktuellem Wissen geben?
1. ChatGPT wird uns erste Ideen liefern können
Die schnell und einfach verfassten Texte genügen zwar nicht unseren wissenschaftlichen Standards, aber das müssen sie auch nicht. Wir können ChatGPT trotzdem nutzen, beispielsweise für eine erste Ideenfindung zu einem neuen Thema oder um uns (für uns) neue Bereiche zu erarbeiten, wie beispielsweise Social Media-Posts.
Zugegeben, bisher konnte mir ChatGPT nicht viel bei der Ideenfindung helfen, aber mit den richtigen Prompts wird das schon noch klappen. Es ist eben ein Prozess!
2. Kunsthistorische Texte brauchen auch mit ChatGPT Kunsthistoriker:innen
Der Nutzen einer KI, und so auch bei ChatGPT, steht und fällt mit der Person, die sich ihr bedient. Wenn ich also eine allgemeine Anfrage (einen Prompt) stelle, dann bekomme ich eine allgemeine Antwort. Erst, wenn ich Rückfragen stelle, nachjustiere oder gar suggestive Prompts eingebe, kann ich den Inhalt lenken. Es sind also die richtigen Prompts nötig, um Informationen zu generieren, die wissenschaftliche Relevanz haben können.
Ohne kunsthistorisches Hintergrundwissen gibt es also keine guten kunsthistorischen Texte. Es gibt wohl sogar Unternehmen, die gezielt Geisteswissenschaftler:innen suchen, um die Ergebnisse von ChatGPT zu verifizieren und sie zu ergänzen oder um sinnhafte Prompts zu erarbeiten, sogenannte „KI-Flüsterer“, heißt es in der BLZ. Vielleicht ist das ja ein netter Nebenerwerb, während wir vielleicht weiterhin ganz ohne ChatGPT unsere Aufsätze, Bücher und Artikel schreiben.
3. Persönlichkeit wird einen Gegenpol zu ChatGPT setzen
Ich denke, dass zunehmend sowohl die Persönlichkeit als auch die einmalige Expertise der Forschenden in den Vordergrund rücken wird. Wenn ChatGPT Fakten und gängige Formulierungen aneinanderreihen kann, wird unser eigener Stil, unsere ganz speziellen Schwerpunkte und die daraus resultierenden einzigartigen Querverbindungen und unsere Wirksamkeit innerhalb der wissenschaftlichen Community wichtiger werden.
4. Wir werden uns unserer Stärken bewusster werden (müssen)
Ich habe ChatGPT gefragt, wie sich Studienanfänger:innen besser an der Uni einleben können. ChatGPT rät Erstis unter anderem, sich bei den Professor:innen zu erkundigen, wie man im Studium neue Leute kennenlernt. Das hinterlässt bei mir Zähneknirschen. Erstens weiß ich, dass mir dieser Rat als schüchternder Ersti nicht geholfen hätte und zweitens kann ich euch direkt selbst diese Tipps aus eigener Erfahrung geben. Denn ich weiß noch, wie es sich angefühlt hat, verloren im Hörsaal zu sitzen.
Und auch als Geisteswissenschaftler:innen und/oder als Kunst- und Kulturwelt:akteurinnen erstellen wir natürlich nicht nur Biografien mit nullachtfünfzehn-Infos, die auch auf Wikipedia zu finden sind, zusammen. Denn diese Biografien kann ChatGPT tatsächlich erschreckend gut und schnell zusammenschreiben. Wir werten verschiedene Quellen aus, setzen mit jeder einzelnen Arbeit individuelle Schwerpunkte, können eigene Erfahrungen, Erinnerungen, Querverweise und aktuelle Debatten einflechten und so unsere Texte nicht nur dichter, sondern auch reicher gestalten – wo wir wieder beim Thema Persönlichkeit wären.
5. Wir werden offener, aber auch bewusster mit ChatGPT umgehen
Die Fotografie sollte der Tod der Malerei sein. Überhaupt gibt es kaum etwas, das im Laufe der Kulturgeschichte nicht schon mindestens einmal gestorben wäre. Aber wie schon bei Roland Barthes “Tod des Autors” rückt stattdessen etwas anderes in den Fokus, hier beispielsweise die Lesenden. Was bei ChatGPT in den Vordergrund rücken wird, bleibt abzuwarten.
In Zukunft werden wir also wohl weniger über unsere Arbeitslosigkeit reden, sondern über größere Zusammenhänge, über Nutzen, Chancen, aber auch über konkrete Probleme und Missstände. Wir werden uns außerdem vermehrt mit der Frage auseinandersetzen müssen, was das ganze kostet – an Geld, an Strom, an Wasser… Der Fußabdruck eben. Eine deutschsprachige Aufbereitung des Papers zum “Secret Water Footprint of AI Models” findet ihr auf Deutschlandfunk Nova.
Es muss Zeit ins Land ziehen, um zu sehen, welche Veränderungen tatsächlich eintreten, wenn sich der Kultur- und Technikpessimismus gelegt hat. Trotzdem sollten wir darüber sprechen, was uns umtreibt.
Was meint ihr?
Was meint ihr zu der ganzen Debatte? Habt ihr Prognosen zum Thema Kunstgeschichte und ChatGPT, nutzt ihr die KI selbst und wenn ja, wofür? Seht ihr sie als Bedrohung für unsere Arbeit als Geisteswissenschaftler:innen oder stehen für euch die Chancen im Vordergrund? Lasst gerne einen Kommentar da oder teilt den Beitrag, wenn ihr an der Diskussion teilnehmen wollt!
Großartige Darstellung und danke für den vorsichtig-optimistischen Ausblick! So etwas brauchen wir!
Beim Digital Ethics Summit zum Thema KI hieß es dieses Jahr: “In der Medizin ist die letzte Meile menschlich.” Ich glaube – und hoffe -, dass das auch für alle anderen Bereiche gilt.